Das SDG 1: Armut beenden

Armut bedeutet, dass man von dringend benötigten, (über)lebenswichtigen Dingen nicht genug hat oder ganz auf sie verzichten muss. Der Zustand beschreibt eine Mangelversorgung, die real oder gefühlt lebensbedrohlich sein kann.
Armut ist nicht gleich Armut
Armut ist ein vielschichtiger Begriff und kann sich auf die unterschiedlichsten Dinge oder Zustände beziehen, die zu wenig oder gar nicht vorhanden sind. „Arm sein“ ist dabei keine Eigenschaft, sondern ein dynamischer Prozess und eine situationsbedingte Zuschreibung. Sie kann temporär, längerfristig oder dauerhaft sein, kann individuelle oder strukturelle Ursachen haben: z.B. durch ungleiche Verteilung von Ressourcen, mangelnde Bildungschancen oder Diskriminierung.
In Industriegesellschaften wird Armut fast immer mit dem Fehlen von Geld, wirtschaftlichen Ressourcen und materiellem Besitz assoziiert und dem (materiellen) Reichtum gegenüber gestellt. Wer materiell arm ist, verdient z.B. zu wenig, um sich angemessen mit Essen, Kleidung, Wohnraum oder Konsumgütern versorgen zu können. Menschen in materieller Armut haben oft Schwierigkeiten, ein menschenwürdiges und gleichberechtigtes Leben zu führen. Soziale Armut bezieht sich auf den Ausschluss oder die Benachteiligung in sozialen, kulturellen oder politischen Bereichen wie Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung, Kultur oder gesellschaftliche Teilhabe.
Folgen von Armut können Hunger, Wohnungslosigkeit, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Diskriminierung und soziale Ausgrenzung sein. Wer wenig oder nichts verdient, hat schlechteren Zugang zu Bildung, Kultur, Arbeitsmarkt und medizinischer Versorgung. Studien zeigen, dass Kinder aus materiell armen Familien in der Schule schlechter abschneiden als wohlhabende Kinder, obwohl sie gleiche Leistungen erbringen.
Armut kann absolut, relativ oder gefühlt sein. Als absolute Armut wird ein Zustand bezeichnet, in dem sich ein Mensch die Befriedigung seiner existenziellen – wirtschaftlichen und sozialen – Grundbedürfnisse nicht leisten kann. Wer in extremer Armut lebt, hat (nach Definition der UN) weniger als umgerechnet 2,15 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Dieser Mensch muss um das reine Überleben kämpfen.

Relative Armut beschreibt Armut im Verhältnis zum jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld. Sie bezieht sich auf soziale Ungleichheit und auf klassistische Gesellschaftsstrukturen. Als relativ arm werden Menschen bezeichnet, deren Einkommen deutlich geringer ist als das durchschnittliche mittlere Einkommens der sonstigen Bevölkerung eines Landes – das können je nach Ansatz 40-60% sein.
Im Gegensatz dazu liegt der gefühlten Armut kein berechenbarer Geldwert zu Grunde. Menschen fühlen sich arm, weil sie diskriminiert werden, weil sie einen bestimmten Mangel fühlen oder sich als benachteiligt sehen. Bei der gefühlten Armut geht es nicht um Einkommen und materielle Güter, sondern um soziale Teilhabe: Sie ist eine Frage des sozio-kulturellen Empfindens. Wer von anderen als arm betrachtet wird, kann sich selber durchaus reich fühlen. Reich an Beziehungen, Gesundheit, Kreativität, Glück, Zufriedenheit…
Extreme Ungleichheit: Zahlen und Fakten
Das Ziel des SDG 1 ist es, bis 2030 weltweit die extreme Armut ganz abzuschaffen und die Zahl der in Armut lebenden Menschen – gemessen an nationalen Definitionen – mindestens zu halbieren. Allerdings wird nur oder immerhin ein Drittel aller Länder weltweit nach dem derzeitigem Entwicklungsstand das Ziel der Armutshalbierung bis 2030 erreichen.
Seit den 90er Jahren hat die Armutsbekämpfung einige Fortschritte gemacht: Mehr als 20 Jahre lang ist die Zahl der Menschen in Armut weltweit konstant gesunken. Über eine Milliarde Menschen konnten sich seit 1990 aus extremer Armut befreien.
Infolge der Covid-19-Pandemie hat die extreme Armut jedoch wieder zugenommen, Fortschritte in der Armutsbekämpfung wurden teilweise wieder zunichte gemacht. Laut den Vereinten Nationen lebten 2023 weltweit etwa 1,4 Milliarden Menschen in extremer Armut. Mehr als 4 Milliarden Menschen verfügen über keinerlei soziale Absicherung.
Außerdem hat sich durch die Pandemie die globale Einkommensungleichheit weiter verschärft. Die Kluft zwischen Armen und Reichen wächst stetig: Bei den reichsten zehn Milliardären der Welt ist das Vermögen seit 2020 im Durchschnitt um 100 Millionen US-Dollar pro Tag gewachsen – die fünf reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen sogar mehr als verdoppelt. Eine Handvoll von Reichen verfügt zusammen über so viel Vermögen, wie die (ärmere) Hälfte der Weltbevölkerung insgesamt zur Verfügung hat. Dagegen haben die ärmsten fünf Milliarden Menschen im gleichen Zeitraum mehrere Milliarden verloren.
Auch in Deutschland werden die Reichsten immer reicher und die Ungleichheit verschärft sich: Das Gesamtvermögen der fünf reichsten Deutschen wuchs seit 2020 inflationsbereinigt um rund drei Viertel von etwa 89 auf etwa 155 Milliarden US-Dollar. Deutschland hat zudem nach den USA, China und Indien die meisten Milliardäre (OXFAM 2024).
Neben der Pandemie ist auch die Klimakrise ein zentraler Treiber von Armut. Gleiches gilt für gewaltsame Konflikte und deren Auswirkungen, wie in Syrien, im Jemen, in der Ukraine und im Nahen Osten. Frauen, Kinder, indigene Gruppen, Menschen mit Behinderungen, LSBTIQ+-Personen und andere benachteiligte Bevölkerungsgruppen sind besonders stark von Armut betroffen.
In Deutschland waren 2023 etwa 15% der Bevölkerung armutsgefährdet – das entspricht ca. 13 Millionen Menschen. Hierzu gehören vor allem Kinder, ältere Menschen und Menschen, die aus anderen Ländern kommen. Fast jedes vierte Kind lebt in einem Haushalt, der monetär von Armut betroffen ist (Deutsches Jugendinstitut, 2023). Das ist ethisch und sozial nicht vertretbar und birgt jede Menge politischen Zündstoff!

Überreichtum zerstört die sozialen Grundlagen einer Demokratie und macht die Gesellschaft immer ungerechter. Zudem tragen reiche Menschen nachweislich deutlich mehr zum Ressourcenverbrauch und C02-Ausstoß – und damit zur Klima- und Diversitätskrise – bei als ärmere Menschen. Mit einer höheren Vermögenssteuer könnte dem entgegengesteuert, der Staatshaushalt aufgebessert, mehr in Bildung, Gesundheit und Klimaschutz investiert und so mehr Gerechtigkeit geschaffen werden.
Eurozentrischer Armutsbegriff
Prinzipiell ist Armut ein soziales Phänomen, ein Zustand gravierender sozialer Benachteiligung. Die damit verbundene Mangelversorgung mit materiellen Gütern und Dienstleistungen wird jedoch äußerst unterschiedlich beurteilt. Ein Maßstab für Armut ist üblicherweise das Haushaltseinkommen bzw. die mangelnde Ausstattung mit wirtschaftlichen Ressourcen. Dies führt dazu, dass Selbstversorger:innen, wie z.B. indigene Völker – auch wenn sie materiell und sozial keinen Mangel leiden – zwangsläufig zu den Armen gerechnet werden:
„Menschen, die Hirse anstatt kommerziell produziertes industrielles Junkfood essen, werden als arm bezeichnet. Menschen werden als arm erachtet, nur weil sie in Häusern wohnen, die sie selbst gebaut haben. Das Material, das sie hierzu verwenden, stammt aus der Natur: Bambus, Lehm, Stroh, Holz – anstatt Zement. Menschen werden als arm erachtet, weil sie handgefertigte Kleider aus natürlichen Materialien und keine Synthetik-Textilien tragen.“ (gekürzt nach Vandana Shiva, 2005)
Diese heute übliche eurozentrische Definition von Armut in Verbindung mit dem enormen materiellen Wohlstand der Industriestaaten führt zu einer verzerrten Vorstellung. Denn wenn bestimmten Menschen materielle Güter wenig bedeuten und sie wenig davon besitzen, sind sie keineswegs arm zu nennen.
In diesem Punkt greift das SDG 1 deutlich zu kurz.
Und genau hier setzt das Wandbild von Eckart Keller an.

Die Unterziele von SDG 1 sind…
alle Menschen durch soziale Sicherungsleistungen entsprechend den nationalen Gegebenheiten abzusichern sowie eine breite Versorgung der Armen und Schwachen zu erreichen
allen Menschen gleiche Rechte und Chancen beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Vermögen, Grundeigentum und natürlichen Ressourcen sowie zu geeigneten neuen Technologien und Finanzdienstleistungen zu verschaffen
die Widerstandsfähigkeit von Menschen in Armut gegenüber klimabedingten Extremereignissen und wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Schocks zu stärken
ausreichende Mittel für Programme zur Beendigung der Armut in all ihren Dimensionen bereitzustellen und (inter-)nationale politische Rahmenbedingungen zur Entwicklung armutsorientierter und geschlechtersensibler Strategien zur Beseitigung der Armut zu schaffen
die Teilhabe von Menschen in Armut an politischen Entscheidungen sowie am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu fördern
In Hamburg
Hamburg ist eine der reichsten Städte Deutschlands, mit der höchsten Dichte an Millionären. Dennoch liegt das Armutsrisiko hier deutlich über den Bundesdurchschnitt. Knapp 20 % der Einwohner:innen sind laut dem Armutsbericht 2024 des Paritätischen Wohlfahrtsverbands von Armut betroffen. Das ist nach Bremen und NRW der dritthöchste Wert in Deutschland. Zudem wächst nirgendwo in Deutschland die Armut derzeit so schnell wie in Hamburg. Während die Armutsquote bundesweit stagnierte, stieg sie in Hamburg um alarmierende elf Prozent.
In Hamburg leben deutschlandweit im Vergleich zu anderen Großstädten die meisten wohnungslosen Menschen: laut Statistischem Bundesamt waren das Anfang 2023 mehr als 32.000 wohnungslose Menschen in städtischen Unterkünften – 70 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Ein Grund für den starken Anstieg waren die wegen des Krieges aus der Ukraine geflüchteten Menschen.
Weiterführende Webseiten:
- SDG 1: Text und weiterführende Infos: https://www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-1 sowie https://17ziele.de/ziele/1.html
- Weltweite ungleiche Vermögensverteilung/Länderliste: https://de.wikipedia.org/wiki/Gini-Koeffizient
- Oxfam, Ungleichheitsbericht 2024: https://www.oxfam.de/themen/soziale-ungleichheit
- Deutsches Jugendinstitut, Kinderarmut in Deutschland 2024: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2024/DJI_Abschlussbericht_Befragung_KGS_2024.pdf
- Paritätischer Wohlfahrtsverband: Armutsbericht 2024: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/img/Paritaetischer_Armutsbericht_2024.pdf
- Ungleichheit in Deutschland: https://krautreporter.de/geld-und-wirtschaft/5283-diese-sieben-grafiken-zeigen-wie-ungleich-deutschland-ist?utm_campaign=pocket-visitor
- Zwischenbilanz zum SDG 1 vom Global Policy Forum (2020): https://www.2030agenda.de/sites/default/files/2030/zwischenbilanz/Agenda_2030_Zwischenbilanz_Ziel_01.pdf
- Nationale Armutskonferenz – Schattenbericht 2025: Armut in Deutschland – https://www.nationale-armutskonferenz.de/2025/01/27/schattenbericht-2025-armut-in-deutschland
Aktiv werden:
- Kampagne: Tax the Rich – https://www.attac.de/kampagnen/tax-the-rich/kampagne-tax-the-rich
- Tafel Deutschland: Die Tafeln retten Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, und geben sie an Menschen in Armut weiter, die sich eine ausgewogene Ernährung oft nicht leisten können. https://www.tafel.de
- Oxfam: Oxfam vereint Menschen in aller Welt, die sich nicht damit abfinden wollen, dass es Armut und extreme Ungleichheit gibt. Bei Krisen und Katastrophen leisten sie lebensrettende Nothilfe. https://www.oxfam.de/
- Der Deutsche Caritas-Verband, das Deutsches Rotes Kreuz, die Johanniter, die Arbeiterwohlfahrt, das Diakonische Werk, das Deutsche Kinderhilfswerk u.a. gemeinnützige und kirchliche Organisationen setzen sich mit Lebensmittelspenden, Beratung und Bildungsangeboten, Kinderbetreuung, Kältehilfe u.a. Hilfsangeboten für armutsgefährdete und bedürftige Menschen ein. Sie alle benötigen Mitarbeit, Unterstützung und Spenden. Eine Liste von Organisationen findet sich hier: https://www.nationale-armutskonferenz.de/ueber-uns/mitgliedsorganisationen