Anna Fünfgeld ist Sozial- und Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Postdoktorandin an der Universität Hamburg. In ihrer Forschung interessiert sie sich vor allem für die sozialen und politökonomischen Aspekte von Klima- und Energiepolitik auf globaler Ebene – besonders in Deutschland, Brasilien und Indonesien – sowie für die Frage, wie eine umfassendere sozial-ökologische Transformation gerecht gestaltet und entgegen aktuellen gesellschaftlichen Widerständen befördert werden kann.
Liebe Anna, Du hast im Design-Kurs an der Freien Schule für Gestaltung, aus dem dieses Wandbildmotiv entstanden ist, als Einstieg einen fachlichen Input zum SDG 7 und zur Energie-Thematik gegeben. Und du hast verfolgen können, wie daraus unterschiedliche Bildmotive entstanden sind. Nun liegt das final ausgewählte Motiv vor. Wie ist dein erster Eindruck von dem Bild?
Zuallererst fallen mir an dem Bild die ‚lockere‘ skizzenhafte und erstmal ungewöhnliche Darstellungsform und die Farben auf. Dadurch unterscheidet es sich von den bunten Hochglanzplakaten und sticht ins Auge. Die Darstellung eines Monsters, das Energie in Form von Spaghetti-Windrädern ‚frisst‘, schlägt auch irgendwie eine humorvolle Note an. Die Farbkombination lässt natürlich sofort an das Atomzeichen denken, welches dann ja auch auf den zweiten Blick im Teller zu erkennen ist. Neben der einerseits skurril-humorvollen Wirkung durch das dynamisch wirkende Monster, ergibt sich durch den schwarzen Hintergrund aber gleichzeitig auch eine leicht düstere Stimmung. Diesen Kontrast finde ich sehr ansprechend und mir gefällt, wie das Bild dadurch mit einer gewissen Leichtigkeit und Direktheit eine ernsthafte Thematik aufgreift.
Welche Botschaften liest du in dem Motiv?
Das Bild zeigt ein Monster, das Energie konsumiert, was für mich sinnbildlich für den übermäßigen Energieverbrauch in unserer Gesellschaft steht. Das Monster hantiert zeitgleich mit mehreren Gabeln, seine Arme wirken dabei sehr dynamisch und es scheint so schnell zu schlingen, dass Teile des Essens wieder aus seinem Mund herausfallen. Das deutet für mich auf die Maßlosigkeit hin, die unseren Ressourcenverbrauch kennzeichnet. Die Farbgebung mit den Atom-Farben und dem grellen Gelb stellt einen alarmierenden Eindruck her. Der Schriftzug ‚Charging Energie‘ verdeutlicht diese Bildaussage und lässt gleichzeitig an das Aufladen des Handys denken, wodurch sich wahrscheinlich so gut wie alle Betrachtenden direkt in ihrem Alltagshandeln angesprochen fühlen und davon ausgehend vielleicht den eigenen Energieverbrauch hinterfragen. Zudem regt das Bild durch diese Darstellung hoffentlich ein weitergehendes Nachdenken darüber an, wie wir unseren Energiebedarf auf eine verantwortungsvollere Weise decken können.
Wie ist deine fachliche Meinung dazu?
Das Bild nutzt visuelle Abstraktion und Humor, um auf das drängende Thema Energie hinzuweisen. Kunst hat die Fähigkeit, über Zuspitzung und Irritation Nachdenken und/ oder Diskussionen anzuregen und das ist hier durch die klare und relativ leicht verständliche Aussage, die das Bild transportiert, sehr gut gelungen. Wir alle nutzen verschiedene Formen der Energie und können uns daher alle gleichermaßen davon angesprochen fühlen.
Selbstverständlich ist das Thema aus fachlicher Sicht viel komplexer als das in einem Bild dargestellt werden kann. Neben Fragen unseres Energiekonsums sollten wir uns natürlich auch mit den Produktionsbedingungen, der Verteilung von Strom und anderen Energieformen sowie den zahlreichen damit zusammenhängenden politischen und sozialen Fragen sowie den Wechselwirkungen mit anderen Themen wie beispielsweise der Klimakrise und Geopolitik beschäftigen. Gerade im Bereich der Energieproduktion beispielsweise werden ungerechte Strukturen zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden häufig reproduziert und Kosten von unserer in andere Gesellschaften ausgelagert. Wir sollten uns stärker mit diesen negativen Externalitäten unseres Energieverbrauchs auseinandersetzen und natürlich auch den kapitalistischen und ausbeuterischen Strukturen, in die dieser eingebettet ist.
Welchen besonderen Aspekt greift das Bild aus dem thematischen Kontext des SDG7 auf?
Das Motiv passt sehr gut in den Kontext des SDG 7: ‚Saubere und bezahlbare Energie für alle‘. Es greift den besonderen Aspekt des Konsums auf und fordert uns indirekt auf, die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen und konsumieren, zu hinterfragen. Dabei beleuchtet es die Situation in den Gesellschaften des Globalen Nordens, in denen Energie scheinbar unbegrenzt zur Verfügung steht und von uns ‚besinnungslos‘ verschlungen wird. Was das Bild nicht zeigt, ist die andere Seite dieses Energieverbrauchs, also dass große Teile der Weltbevölkerung keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu Energie haben und dass unser privilegierter Zugang zu großen Teilen auf diesen ungerechten Verteilungsstrukturen basiert. Die sozialen und ökologischen Folgen dieses ‚Energiehungers‘ werden mit der Klima- und Biodiversitätskrise immer präsenter und drängender.
Würdest du etwas inhaltlich ergänzen oder korrigieren wollen?
Wie bereits oben genannt, ist das Thema Energie so komplex, dass es natürlich vieles zu ergänzen gäbe. Die Produktionsbedingungen habe ich bereits genannt, dabei geht es ja beispielsweise nicht nur um die direkte Extraktion von fossilen Energiequellen wie Kohle, Öl oder Gas, die oft mit Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen und schlechten Arbeitsbedingungen einher geht. Es stellt sich auch die Frage, wie eine Transformation unserer Energiesysteme insgesamt gerechter gestaltet werden kann. Denn auch für die Produktion erneuerbaren Stroms bedarf es bestimmter Mineralien und anderer Stoffe, um beispielsweise Batterien herzustellen, die häufig ebenfalls unter sehr fragwürdigen Bedingungen gewonnen werden. Zudem stellt Energiearmut in vielen Teilen der Welt immer noch ein großes Problem dar. All das ist in globale marktwirtschaftliche Prozesse eingebettet, die immer wieder neue Krisen hervorgebracht haben und deren inhärente Logik in der Regel eben nicht nachhaltige und sozial gerechte Lösungen befördert, sondern im Gegenteil zur Begünstigung einiger weniger bei gleichzeitiger Ausbeutung der Natur und eines Großteils der Menschheit führt.
Was möchtest du den Bildgestalter:innen noch sagen?
Ich finde ihre humorvolle und direkte Herangehensweise an das Thema sehr ansprechend. Ich denke, dass das Bild sehr deutlich und für die meisten Menschen sicherlich sofort verständlich und anschlussfähig an ihren Alltag ist. Zudem springt es durch die ästhetische Gestaltung, vor allem die Farben und die Skizzenhaftigkeit, schnell ins Auge. Es ist nicht einfach, die Komplexität dieses Themas auf ein einziges Bild zu reduzieren, und ich denke es war gut, dass hier eine klare Entscheidung für einen Themenaspekt getroffen wurde.