Als Thema für das siebte Wandbild wählten wir das SDG 3 “Gesundheit und Wohlergehen”. Es kam im April 2023 an die Wand. Das Motiv wurde von Bettina Wistuba auf der Grundlagen von Materialien gestaltet, die im Rahmen von Workshops mit Schüler:innen der Beruflichen Schule für medizinische Fachberufe (BS15) in Wilhelmsburg und Kindern aus dem Offenen Kindertreff am HausDrei in Altona entstanden waren. Mehr zur Methodik, zur Entstehung und zum Hintergrund dieses Motivs gibt es hier.
Gesundheit bedeutet nicht das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen, sondern ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens (Weltgesundheitsorganisation/WHO). Sie umfasst das Wohlbefinden und die gesamten Lebensumstände der Menschen. Dabei werden der Gesundheitszustand, die Lebensqualität und die Lebenserwartung nicht nur von der medizinischen Versorgung, sondern vor allem auch von ökonomischen Faktoren und den sozialen Lebensumständen beeinflusst.
Gesundheitliche Ungleichheit
Studien belegen, dass die gesundheitliche Ungleichheit in den vergangenen 20 Jahren weitgehend stabil geblieben ist und in einigen Bereichen sogar zugenommen hat.
Menschen, die in Armut leben oder auf der Flucht sind, fehlt zumeist eine ausreichende ärztliche Versorgung. Menschen mit Unterernährung, schweren körperlichen Belastungen oder psychischem Stress (z.B. durch schädliche Arbeits- oder Umweltbedingungen) werden schneller krank. Wer Beipackzettel und Gebrauchsanweisungen von Medikamenten oder Hinweise auf gesundheitliche Versorgungs- und Präventionsangebote nicht lesen oder verstehen kann, kann diese auch nicht angemessen für sich in Anspruch nehmen. Täglich erkranken und sterben Tausende von Neugeborenen und Kleinkindern, aber auch Erwachsene an vermeidbaren und behandelbaren Krankheiten. Aktuellen Prognosen zufolge wird ein Drittel der Weltbevölkerung bis 2030 keinen Zugang zu essenzieller Gesundheitsversorgung haben.
Untersuchungen belegen, dass auch in Deutschland Menschen aus sozio-ökonomisch besser gestellten Schichten gesünder sind und eine längere Lebenserwartung haben als Menschen, die über geringere Bildung, Einkommen und Berufsstatus verfügen. Auch zeigen sich schichtspezifische Unterschiede beim Gesundheits- und Krankheitsverhalten, z. B. bei Ernährung oder sportlichen Aktivitäten oder der Nutzung von Präventions- und Versorgungsangeboten, die zu einer gesundheitlichen Ungleichheit sowie zu Unterschieden in der Sterblichkeit führt.
Globalisierung gesundheitlicher Gefährdungen
Die Coronavirus-Pandemie wirkte wie ein Vergrößerungsglas für Ungleichheiten in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen weltweit. Diese zeigte sich zum Beispiel in der ungleichen Verteilung bzw. dem ungleichen Zugang zu Impfstoffen und in den unterschiedlichen Verläufen der COVID-19-Pandemie in reichen und ärmeren Ländern sowie in den Unterschieden zwischen reicheren und ärmeren Regionen innerhalb einzelner Länder. Durch Ausgangssperren, Engpässen in den Lieferketten und überforderte Gesundheitssysteme verstärkte die Pandemie bestehende Probleme und machte bereits erreichte Entwicklungsfortschritte zunichte: Von der Unterbrechung von Impfkampagnen und der Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten über den Ausfall von medizinischem Personal bis hin zur mangelnden Gesundheitsversorgung für Neugeborene, Schwangere und Mütter. Wegen der Corona-Krise fehlen zusätzlich notwendige Medikamente gegen Aids, Malaria und Tuberkulose.
Aber nicht nur globale Pandemien, auch die immer deutlicher werdenden gesundheitlichen Folgen der Erderwärmung, die Bedrohung der Ernährungssicherung von weiten Teilen der Weltbevölkerung durch Klimawandel, Vermarktungs- und Gewinninteressen internationaler Agro-Konzerne und Nahrungsmittelspekulation, der Verlust der für unser aller Überleben notwendigen biologischen (genetischen) Vielfalt und das globale System von Patentrechten auf Arzneimitteln sowie unser aller Abhängigkeit von einer internationalen Medikamentenproduktion zeigt nur zu deutlich, dass und in welchem Maße Gesundheit abhängig ist von gesellschaftlicher Ungleichheit, Machtsymmetrien, Ressourcenverteilung sowie Governance Strukturen.
Bis heute spiegelt die globale Gesundheitspolitik historisch bedingte Ungleichheiten wider und ist in weiten Teilen geprägt von den hegemonialen Interessen west-europäischer und nordamerikanischer Institutionen und Regierungen. Manche sprechen in diesem Zusammenhang von einem “medizinischen Neo-Kolonialismus” (Holst 2019).
Armutsbedingte Krankheit
Fast die Hälfte der Weltbevölkerung hat aufgrund fehlender finanzieller Mittel keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung: In ländlichen Gebieten liegt der Anteil noch mal deutlich drüber. In vielen Ländern müssen Patient:innen ihre medizinische Behandlung und Medikamente bar aus eigener Tasche bezahlen, ohne diese von einer Gesundheitsversicherung erstattet zu bekommen. Die Folge sind sog. armutsassoziierte Krankheiten: Menschen werden krank oder sterben, weil sie sich die Medikamente nicht leisten können.
Die Situation wird noch verschärft durch die strikten Vorhaben und sog. Strukturanpassungsreformen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Schuldenlasten und der massive Sparzwang zur Reduzierung des Haushaltsdefizits führten in vielen Ländern (z.B. Tschad, Kamerun, Sri Lanka, aber auch Griechenland) zu starken Kürzungen der öffentlichen Gesundheitsausgaben und damit zu einer spürbaren Verschlechterung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und einer nachweislichen Erhöhung der Kindersterblichkeit.
Das UN-Nachhaltigkeitsziel 3
Das SDG 3 zielt darauf ab, ein gesundes Leben und das Wohlergehen für alle Menschen allen Alters und überall auf der Erde sicher zu stellen.
Die Unterziele vom SDG 3 sind ambitioniert: So sollen beispielsweise die Zahl der vermeidbaren Todesfälle bei Neugeborenen und Kindern unter fünf Jahren bis 2030 auf Null reduziert, die weltweite Müttersterblichkeit gesenkt, der allgemeine Zugang zu sexual- und reproduktionsmedizinischer Versorgung – einschließlich Familienplanung, Information und Aufklärung – gewährleistet, die AIDS-, Tuberkulose- und Malariaepidemien vollständig überwunden und der Zugang zu hochwertigen grundlegenden Gesundheitsdiensten sowie zu sicheren, wirksamen, hochwertigen und bezahlbaren unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen für alle erreicht werden.
Um die Stärkung öffentlicher Gesundheitssysteme und die bessere Zusammenarbeit der Regierungen auf internationaler Ebene im Gesundheitsbereich zu sichern, wurde mit einer speziellen Zielvorgabe (SDG 3.8) der Aufbau bzw. die Stärkung öffentlicher Gesundheitssysteme und die Sicherstellung der allgemeinen Gesundheitsversorgung für alle beschlossen.
Zu den größten Herausforderungen zur Verwirklichung dieser Ziele zählen die COVID-19-Pandemie und die Erderwärmung.
Die Inhalte des SDG3 werfen – vor allem aus medizinischer Sicht – einen umfassenden, aber dennoch begrenzten Blick auf das Thema Gesundheit und Wohlergehen. Aspekte wie die Förderung von sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Teilhabe oder die Beseitung von Armut als strukturelle Bedingung für Krankheit werden als Ziele nicht explizit formuliert. Dabei hatte die WHO bereits 1978 ein deutlich umfassenderes Konzept einer Basisgesundheitsversorgung entwickelt (Erklärung von Alma-Ata, 1978), das in der folgenden Jahrzehnten allerdings von einflussreichen globalen Gesundheitsakteur:innen auf ökonomische Interessen, Vermarktungsfähigkeit und rentable medizinische Interventionen reduziert wurde.
Global Health, One Health, Planetary Health
Eine Globale Gesundheitspolitik ist in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik geworden und umfasst neben der individuellen klinischen Versorgung der Bevölkerung und der Prävention auch die Auseinandersetzung mit transnationalen Zusammenhängen. Politische Konzepte von Global Health beschränken sich nicht auf grenzüberschreitende Gesundheitsprobleme im engeren Sinne, sondern beziehen Faktoren wie Ernährungssicherheit, Migration, Urbanisierung, Klimawandel, Ungleichheit oder Machtstrukturen mit ein. Es handelt sich dabei um einen ganzheitlichen, transdisziplinären und menschenrechtsbasierten Ansatz, der eine „Gesundheit für Alle“ zum Ziel hat.
Der One-Health-Ansatz basiert auf dem Verständnis, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng miteinander zusammenhängt. Er umschreibt einen kollaborativen und transdisziplinären Ansatz, bei dem viele Sektoren und Akteur:innen auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene zusammenarbeiten. Es werden besonders die Zusammenhänge zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und ihrer gemeinsamen Umwelt berücksichtigt, um die Entstehung globaler Gesundheitsrisiken (zum Beispiel in Form von Zoonosen) besser zu verstehen und ihnen passend begegnen zu können.
Das umfassendere Konzept der Planetary Health bezieht explizit die gesundheitlichen Auswirkungen menschlichen Handelns auf das Leben in der Biosphäre mit ein. Planetare Gesundheit stellt den Menschen und nicht seine Gesundheit in den Mittelpunkt und befasst sich mit dem Abbau gesundheitlicher Ungleichheiten aufgrund von Einkommen, Bildung, Geschlecht und Lebensumfeld.
Ähnlich argumentieren die Vertreter:innen der Health for Future-Bewegung, die dem Motto folgen: Gesundheit braucht Klimaschutz!
Welches dieser Konzepte auch immer das politische Handeln bestimmt, eines wird deutlich: Gesundheit muss in umfassendem Sinne als rechtebasiertes, universelles Gut verstanden werden.
Gesundheit ist ein Menschenrecht!
Kernziel globaler Gesundheitspolitik:
Überwindung der weltweit bestehenden Ungleichheiten
Strategien der Armutsbekämpfung und Überwindung der sozio-ökonomischen Ungleichheit sind zentrale Bestandteile zur Durchsetzung eines Rechts auf Gesundheit. „So wichtig eine gute medizinische Versorgung ist, sie hat doch geringeren Einfluss auf die gesundheitliche Lage von Menschen als die Lebensumstände. Ohne angemessene Berücksichtigung der sozialen Determinanten von Gesundheit, der Frage der Einkommensverteilung, der Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Bildung, Umwelt u.a. gesellschaftlicher Bedingungen lässt sich die Gesundheit der Weltbevölkerung nicht nachhaltig verbessern” (Holst 2019).
Globale Gesundheit braucht demnach:
- Mehr Gesundheitsförderung als Krankheitswirtschaft
- Gute Arbeits- und Einkommensverhältnisse
- Chancengleichheit
- Verringerung der sozio-ökonomischen Ungleichheit
- Ernährungssouveränität
- Verantwortungsvolle Umweltpolitik
- Soziale Sicherheit, Frieden, Demokratie und Partizipation
Im September 2019 wurde ein sog. Globaler Aktionsplan (GAP) für ein gesundes Leben und das Wohlergehen aller Menschen am Rande der 74. UN-Generalversammlung in New York vorgestellt. Ziel des GAP ist es, Länder bei der Umsetzung von gesundheitsbezogenen Nachhaltigkeitszielen zu unterstützen. Dafür soll die Zusammenarbeit zwischen den 13 beteiligten Organisationen verbessert werden. Die WHO veröffentlicht jährlich einen Fortschrittsbericht zur Arbeit des GAP.
Zivilgesellschaftliche Akteur:innen haben den GAP begrüßt, warnen allerdings auch vor dem wachsenden Einfluss von privatwirtscfhaftlichen Akteur:innen in der globalen Gesundheitspolitik:
“Wir sind besorgt, dass sich die Welt weiter in Richtung einer privatisierten, undemokratischen und ungerechten globalen Gesundheitspolitik bewegen könnte.” (siehe: Agenda 2030: Wo steht die Welt?)
Strategie der Bundesregierung zur Globalen Gesundheit
Im Oktober 2020 verabschiedete die Bundesregierung eine neue Strategie zur Förderung der Globalen Gesundheit. Der Veröffentlichung der Strategie ging ein langer Konsultationsprozess voraus, bei dem verschiedene Akteursgruppen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Jugend jeweils um ihren Input gebeten wurden. In dieser Strategie nimmt der „One Health“-Ansatz einen wichtigen Platz ein und wurde intensiv diskutiert. Das Einbringen des Konzeptes von “One Health” in die internationale Gesundheitspolitik wird von NGO-Seite, zum Beispiel dem VENRO, begrüßt.
Für die Dekade bis zum Jahr 2030 werden folgende fünf Prioritäten benannt:
» Gesundheit und Prävention fördern
» sich für eine Minderung der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels einsetzen
» Gesundheitssysteme stärken und eine allgemeine Gesundheitsversorgung mit einem diskriminierungsfreien Zugang für alle ermöglichen
» sich langfristig und umfassend für den Schutz der Gesundheit, einschließlich des Schutzes vor Epidemien und Pandemien, einsetzen und sein Engagement in der humanitären Gesundheitshilfe fortsetzen
» Forschung und Innovation für globale Gesundheit vorantreiben
Im Juni 2023 veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung “Globale Umweltveränderungen” (WGBU) sein Hauptgutachten „Gesund leben auf einer gesunden Erde“. Darin wird untersucht, wie menschliche Gesundheit und Umwelteinflüsse zusammenhängen. Dabei legen die Autor:innen den Fokus auf ein erweitertes Gesundheitsverständnis: Voraussetzung für ein ganzheitliches Wohlbefinden von Menschen ist eine Welt mit resilienten Ökosystemen und einem stabilen Klima. Dafür müssen auf internationaler Ebene Entwicklungspfade gefunden und umgesetzt werden, die Mensch und Natur gleichermaßen gerecht werden. Es geht um gesunde Lebensstile, die gleichzeitig die Natur schützen – um Ernährung, Bewegung und Wohnen. Es geht um Rahmenbedingungen, die diese Lebensstile ermöglichen. Es geht darum, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten – Klimawandel, Biodiversitätsverlust und weltweite Verschmutzung aufzuhalten – und darum, die Gesundheitssysteme auf die vor uns liegenden Herausforderungen vorzubereiten und ihre transformativen Potenziale zu nutzen. Es geht um Bildung und Wissenschaft, die die Vision „Gesund leben auf einer gesunden Erde“ Wirklichkeit werden lassen. Und schließlich geht es um eine Verständigung auf internationaler Ebene über dieses Leitbild: Ohne internationale Kooperation ist die Vision nicht erreichbar.
Mitmachen: Initiativen bundesweit und in Hamburg
Ärzte ohne Grenzen: medizinische Hilfe, wo sie dringend gebraucht wird: in Konfliktgebieten, nach Naturkatastrophen und beim Ausbruch von Epidemien.
Medico International: eine internationale Menschenrechtsorganisation, die u.a. auch zum Thema Gesundheit Hilfsprojekte in Krisengebieten unterstützt und Solidaritätskampagnen organisiert
Health for Future: Gesundheit braucht Klimaschutz! Bei H4F organisieren sich Pflegefachpersonen, Therapeut:innen, Ärzt:innen, Beschäftigte im öffentlichen Gesundheitsdienst, Studierende, Auszubildende und Angehörige aller im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen gemeinsam mit anderen Menschen für gerecht gestaltete Klima- und Gesundheitsmaßnahmen
Andocken – medizinische und soziale Hilfe für Menschen ohne Papiere
MiMi – Mit Migranten für Migranten (Hamburg): ein Projekt zur interkulturellen Gesundheitsförderung und Unterstützung von Menschen in medizinischen Angelegenheiten; interkulturelle Gesundheitsmediator:innen vermitteln mehrsprachig und über kulturelle Perspektiven hinaus wesentliche Bereiche des deutschen Gesundheitssystems.
Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG) e.V. : macht sich stark für eine soziallagenbezogene Gesundheitsförderung und Prävention im Stadtteil, in der Familie, Kita, Schule, im Betrieb oder im Alter
Planetary Health Diet: eine Strategie für Landwirtschaft und Ernährung, um die Gesundheit der Menschen und des Planeten gleichermaßen zu schützen